Gerade wir Deutschen tun uns schwer mit Zufriedenheit. Meckern, Nörgeln und Empören stehen viel zu oft auf unserer Tagesordnung. Der Wutbürger wird zwar als demokratisches Phänomen begrüßt, doch im Grunde geht es einem Großteil dieser 'Straßendemokraten' um nichts anderes, als dem eigenen Frust Luft zu machen. Auch ich muss mir diesen Schuh wohl anziehen. Doch das wird sich ändern. Denn dem Ganzen gegenüber steht ein Mann, der seine gesamte Kindheit und Jugend in einem nordkoreanischen Gefängnis verbrachte und der mich dazu veranlasste, über meine Nörgelei nachzudenken.
Eine Doku auf Phoenix. Ein Mann, der nicht nur körperlich, sondern vor allem seelisch gebrochen ist. Er erzählt seine Geschichte. Davon, dass er in einem nordkoreanischen Gefangenenlager geboren wurde. Davon, dass er mit Schlägen nordkoreanischer Gefängniswärter sozialisiert wurde. Und davon, dass er als Folge der Gehirnwäsche keinerlei Emotionen empfand, als seine Mutter vor seinen eigenen Augen hingerichtet wurde. Im Gegenteil: Seine Mutter hatte sich falsch verhalten, also hatte sie den Tod verdient. Das sah auch er so, denn er hatte es so gelernt.
Kaum vorzustellen, wie es ist, die gesamte Kindheit und Jugend in einem Gefangenenlager zu verbringen und absolut nichts von der 'realen' Welt mitzukriegen. Es ist schwer, ein Weltbild nachzuvollziehen, dass sich ausschließlich an Gut und Böse orientiert - mit der Brisanz, dass 'gut' ausschließlich von der nordkoreanischen Regierung bzw. deren Handlangern definiert wird. Ein Leben, bestimmt von Bestrafungen, Folter und psychischem Terror. Aber man kennt es nicht anders. Man weiß nicht, dass es 'irgendwo da draußen' auch noch eine andere Welt gibt, in der völlig andere Werte gelten. Eine Welt, in der man prinzipiell frei ist und tun kann, was man möchte, solange es niemandem schadet oder Gesetze verletzt.
Während ich die Dokumentation verfolge, läuft es mir mehrmals eiskalt den Rücken runter. Dass so etwas im 21. Jahrhundert möglich ist! Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Was habe ich mich beklagt: Darüber, wie schlecht es doch in Deutschland läuft. Darüber, wie schlimm unsere Gesellschaft ist. Und darüber, dass dringend Handlungsbedarf besteht. Ich sehe dies zwar nach wie vor so, aber dennoch aus einem anderen Blickwinkel. Ja, man muss etwas ändern, auch in Deutschland. Aber man sollte neben allen Verbesserungsvorschlägen auch einfach mal mit dem Status quo zufrieden sein. Wir jammern hier auf sehr, sehr hohem Niveau. Ein Gedanke, der sich in Zukunft wohl auch öfter auf meinem Blog wiederfinden lassen wird.
Dem nordkoreanischen Häftling gelang als junger Erwachsener die Flucht aus dem Straflager. Er kletterte über die Leiche eines anderen Mannes, der beim Versuch, durch den Elektrozaun zu gelangen, gestorben war, in die Freiheit. Der Häftling hatte inzwischen von anderen Gefangenen gehört, dass sie sich eigentlich in einem Gefängnis befanden (allein dies zu kommunizieren, stellt in so einem Straflager eine große Herausforderung dar) und es eine bessere, freie Welt außerhalb der Gefängnismauern bzw. außerhalb des Landes gab. Wir können uns das kaum vorstellen. Es ist in etwa so, als würden wir plötzlich erfahren, dass es neben der Erde noch 30 andere Planeten gibt, die von Menschen bevölkert sind, wobei die Zustände dabei noch gar nicht berücksichtigt sind.
Der Wunsch, nur einmal in seinem Leben ein gebratenes Stück Fleisch zu essen, war so stark geworden, dass der Häftling die riskante Flucht wagte. Einmal in Freiheit, irrte er zunächst umher und
wunderte sich über die ganzen neuen Eindrücke, die auf ihn einprasselten wie auf ein Kind, das zum ersten Mal das Licht der Welt erblickt. Aber außerhalb der Gefängnismauern gab es auch
reichlich Probleme, denn Nordkorea ist ein sehr problembehaftetes Land und vielen Menschen geht es wesentlich schlechter, als von der Regierung dargestellt.
Wieso dieser Mann mir die Augen öffnete? Weil er vor dem Hintergrund des Leids, das er im Straflager erleben musste, und den Missständen, die er außerhalb der Gefängnismauern antraf, zum Trotz, auf die Frage, was ihm durch den Kopf gegangen sei, als er das erste Mal 'draußen' unterwegs war, antwortete: "Das normale Leben kam mir vor wie das Paradies." Denken wir an diesen Ex-Häftling und die Zustände in Nordkorea, wenn es uns das nächste Mal an der Supermarktkasse zu lange dauert oder uns die PKW-Maut in den vermeintlichen Wahnsinn treibt! Kurzum: Denken wir daran, dass es Menschen mit ganz anderen Problemen gibt! Dies soll kein Totschlagargument gegen Verbesserungsvorschläge in Deutschland sein. Paradiesische Zustände sind auch bei uns nicht erreicht, doch global betrachtet sind wir wohl eine der Nationen, welche diesen - zumindest was Menschenrechte, Menschenwürde, persönliche Freiheit und Befriedigung der Grundbedürfnisse betrifft - am nächsten kommt.
Seien wir mit dem zufrieden, was ist! Denken wir an die Zustände im nordkoreanischen Straflager, wenn der Eintopf in der Mensa mal wieder so fad schmeckt, dass er "ungenießbar" scheint, so dass es einem den ganzen Tag verdirbt und wir denken: "Was für eine Unverschämtheit!"
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